Die Sprache und ich
Ein paar Gedanken zur Sprache und eine Bitte
Immer wieder fragen mich Leserinnen, wie ich zum Schreiben gekommen bin. Bin ich gar nicht, ich war immer schon da. Wörter fand ich einfach toll.
Als ich ungefähr vier war, gab es einen Spielkameraden, der auch ungefähr vier war und dessen schlimmster Fluch „Kacke Scheiße Vanille Fodüda“ war. Er blickte sich immer erst vergewissernd um, bevor er ihn losließ, daß auch nur ja kein Erwachsener ihn hörte, denn es war natürlich ein ganz, ganz dreckiger Fluch.
Ich war begeistert. Unter den ersten drei Bestandteilen konnte ich mir ja noch etwas vorstellen, aber was bitte war „Fodüda“? Es musste etwas Faszinierendes sein, etwas besonders Unanständiges und Unerlaubtes, etwas besonders Großartiges. „Fodüda“ probierte ich überall aus, mit der wissenden Miene der Spezialistin. Ich weiß bis heute nicht, was es heißt, aber ich weiß noch, welche Phantasieräume mir einzelne Wörter öffneten.
Dann gab es zum Beispiel das Wort „flugs“. Ich schrieb es so gerne. Flugs flugs flugs. Ich sah dabei ein kleines, schmales, wieselig braunes Wesen, das eben flugs in Löchern und Winkeln verschwand, bevor man es richtig sehen konnte. Es hatte große Augen und kleine, runde, wollige Pfoten, aber ich konnte es nur ungenau beschreiben, dazu war es eben zu flugs. Wer das wohl erfunden hatte?
Und wie man überhaupt für alles Wörter erfunden hatte? Wie war jemand auf das Wort „Eis“ gekommen, wo ich doch „Schlabbla“ viel passender fand? Aber nur für das süße Schlabbla auf Hörnchen, für Gletscher war „Eis“ ziemlich okay. „Eeeiiisssshhh“ – richtig gesprochen, sah ich dabei Tonnen von weißen Gletscherplatten das Tal hinunterzischen, das war ein Wort, das gut passte. Jedenfalls konnte ich damals stundenlang auf irgendwelchen Baumwurzeln sitzen, mit Stöckchen und Ameisen spielen und über Wörter nachdenken.
Später kamen Kästner und Lindgren (danke, Universum, daß du die beiden geschickt hast!) und ich fand darin eigentlich alles: Freunde, Freude, Gutsein, Heimat, Trost, Rat und vor allem: Geschichten. Und eine grandiose Sprache. Klar und voller Witz.
Was wollte ich Ihnen nochmal sagen? Ach ja, jetzt hab ich's wieder.
Passen wir auf sie auf, auf unsere schöne, reiche Sprache. Sie verarmt nämlich schleichend.
Nein, ich fange jetzt nicht das Klagelied an, daß früher alles viel besser war. Das meiste war früher schlechter als heute, von Arbeitslosengeld bis Zahnersatz, von Leibeigenschaft bis Demokratie. Und Sprache ist ständig in Veränderung, das ist normal.
Es ist nicht die Veränderung, die mich schreckt. Ich lebe in Berlin. Ab und zu fahre ich U-Bahn. Zwei Schüler, so etwa 16, sitzen mir gegenüber.
Jetzt kommt zuerst die Übersetzung.
„Du weißt ja, daß Janina und ich Schluß haben? Jedenfalls, ich hab sie heute in der Pause gesehen. Ich hab ihr gesagt, wir könnten heute Abend im Club ja mal reden über all die Sachen, die sie mir an den Kopf geschmissen hat. Und da meinte sie, sie würde überhaupt nicht mehr mit mir reden. Naja, und dann hab ich ihr gesagt, das fänd ich aber echt beschränkt. Da ist sie beleidigt abgerauscht.“
Jetzt kommt der Originaldialog:
„Janina un ich, Mann, is Schluss, weißte ja. Ich die heute Schulhof, ich: ey, voll die scheiß Vorwürfe da, heute abend Club, müssma reden, du. Ey, un die: ich red nich mit dir Typ, un ich: krass blöd du un die dann weg, soooo ne Fresse.“
„Ich:“ statt „und dann sagte ich ihr“ - ist es der Handytalk, das Dauerfernsehen oder das Internet, die am Wortfraß schuld sind?
Nachdenklich stimmt mich nicht der Gebrauch von „Scheiße“, dazu bin ich zu sehr Rheinländerin, sondern die Tatsache, daß der Gebrauch der indirekten Rede sowie des vollständigen Satzbaues offensichtlich ausstirbt. Na klar schreibe ich auch „Lg, C.“ unter meine SMS, wenn's schnell gehen soll. Aber nur dann. Das sind kaum aufhaltbare Kulturtechniken, wenn Sie so wollen.
Aber den Klang, die Schönheit, die Musik, die Melodie, die Struktur, die Farben und Bilder einer Sprache zu erhalten, dafür können wir alle etwas tun. Und bitte, bitte, tun wir's! Unsere Sprache hat so viele kreative Möglichkeiten wie kaum eine andere Sprache.
Lesen wir. Auch mit Kindern. Haben wir ein Auge und ein Ohr auf unsere schöne Sprache. Entdecken wir Lautmalerei, freuen wir uns an Sprachbildern, an feinen Nuancen. Es macht einfach Spaß, im Urlaub mal herauszufinden, woher manche Wörter kommen.
Urlaub zum Beispiel hat nichts mit Ur und nichts mit Laub zu tun. Das verrät uns ein sogenanntes etymologisches Wörterbuch, dort findet man den Ursprung vieler Wörter.
Loreley hat nichts mit Lore oder Ei zu tun, Vogeley übrigens auch nichts mit Vogeleiern.
Und Gedichte! Lernen wir mal wieder ein kleines Gedicht auswendig. Zum Beispiel von Kästner, Wilhelm Busch oder Robert Gernhardt. Das trainiert das zerfranste Gedächtnis übrigens auch noch. Es müssen ja nicht immer die langen, dramatischen Balladen sein.
"Ein Onkel, der Gutes mitbringt,
ist besser als eine Tante, die bloß Klavier spielt"
(Wilhelm Busch)
Wie dieser Altmeister der deutschen Sprache einen Großteil der menschlichen Psyche in zwei Zeilen packt! Und dabei auch noch ein komplettes Biedermeierwohnzimmer auferstehen läßt! Sagenhaft.
Spielen wir wieder mal Spiele rund um die Sprache anstatt mit dem Cursor irgend etwas zum Piepsen oder Explodieren zu bringen.
Mit Sprache so bewußt wie möglich umzugehen, im Umgang mit sich selbst und mit anderen, hat positive Nebenwirkungen. Ich arbeite täglich dran, und das ist nicht immer einfach. Ich wünsch Ihnen was. Was sehr Gutes, ohne irgendwelches Fodüda.